Sonntag, 27. Oktober 2013

Schlimmes Schicksal von "Europas Geisterkindern"

Mehrere Kinder hat die leibliche Mutter des kleinen Mädchens Maria offenbar schon "weggegeben".
Blonde Kinder bringen mehr Geld beim Betteln, heißt es. Die Rede ist jetzt von einem "Zwischenmann".

Es soll ein Anblick gewesen sein, der zu Herzen ging. Verstört habe das blonde, völlig verdreckte Kind gewirkt. Der Staatsanwalt, der es bei einer Razzia im Roma-Dorf in Farsala im Süden Griechenlands, entdeckt hatte, sei sehr aufgewühlt gewesen an jenem Donnerstag vor einer Woche. "Er rief mich an und war fast den Tränen nah", sagt Konstantinos Yannapoulos.

Der Chef der Hilfsorganisation "Kinderlächeln" ist ein ruhiger Mann. Seit vielen Jahren kümmern er und seine Organisation sich um vermisste und missbrauchte Kinder. 120.000 Anrufe waren in diesem Jahr bislang bei "Kinderlächeln" eingegangen. Yannapoulos hat schon viel gehört und gesehen. Doch der Anruf des Staatsanwaltes sei ungewöhnlich gewesen. Dem Mann sei das Kind einfach nahegegangen.

Kinder wurden weggenommen, weil sie blond waren

Maria, das blonde, hellhäutige Mädchen, geschätzte fünf, sechs Jahre alt, bewegte schon wenig später ganz Griechenland und die Welt. Schnell wurde klar, sie ist nicht das leibliche Kind jenes Roma-Paares, bei dem es aufwuchs und das wegen des Verdachts auf Kindesentführung verhaftet wurde. Eine beispiellose Suche nach ihrer Herkunft begann. Interpol wurde eingeschaltet, ihre DNA an 190 Länder weitergereicht, Eltern verschwundener Kinder weltweit machten sich Hoffnung. Und Ressentiments gegen Roma lebten stärker denn je auf – nicht nur in Griechenland.

In Irland wurden zwei Kinder ihren Roma-Eltern weggenommen, nur weil sie blond waren. Kurz darauf stellte sich heraus, es waren ihre leiblichen Kinder. Am Ende der Woche war auch Marias Identität geklärt: Obwohl blond und sehr hellhäutig ist sie die Tochter gar nicht so blonder Roma aus Bulgarien. Ein DNA-Test belegte dies. Die Familie hat noch weitere blonde Kinder.

Als Yannapoulos Maria damals abholen ließ, habe sie geweint. "Sie verstand nicht, was überhaupt los war", sagt er. Und da sie einen Roma-Dialekt spricht, sei die Verständigung mit ihr zunächst schwierig gewesen. Ein Übersetzer musste her, doch der war gar nicht so einfach zu finden. Sie wurde ins Krankenhaus gebracht, gewaschen und untersucht. Schnell war klar, dass sie ein zähes, unabhängiges und intelligentes kleines Mädchen ist. "Wie übrigens die meisten Roma-Kinder, mit denen wir es zu tun haben. Sie lernt schnell", sagt Yannopoulos, "ihr Griechisch wird von Tag zu Tag besser."

4000 Euro für ein Roma-Baby

Sie wählte aus, wen sie um sich haben wollte. Sie fragte nach bestimmten Betreuern, wenn diese nach ihrer Schicht gingen, ob sie denn wiederkommen könnten.

Mehr als 10.000 Anrufe gingen in dieser Zeit bei "Kinderlächeln" ein. "Wir bekamen Fotos und Videos, die belegen, dass Maria zum Betteln missbraucht worden war", erzählt Yannopoulos. Das alles habe er an die Polizei weitergereicht.

Noch immer sind viele Fragen offen. Warum und wie genau Maria zu ihren griechischen Zieheltern kam, und ob es vielleicht sogar ein Fall von Kinderhandel ist. Das wird in Griechenland nun heftig diskutiert, seit ein weiterer Fall von Roma-Eltern in dieser Woche bekannt wurde, die sich fälschlicherweise als die Eltern eines fremden Kindes ausgegeben hatten. Zudem flog ein griechisches Ehepaar auf, das versucht hatte, in Athen für 4000 Euro ein Roma-Baby zu kaufen. War das auch mit Maria passiert?